Das Ende in der Biskaya

Was am abend mit einem lauen lüftchen anfing, wurde dann mehr und mehr. Aber erstmal bin ich schlafen gegangen, mit dem eierwecker. Jede stunde habe ich die richtung kontrolliert und sie wurde besser. Und man sollte dann reffen, wenn man das erste mal daran denkt. Das war dann um zwei uhr und es war der richtige zeitpunkt. Mein neuer indikator ist, wenn das schiff zu schräge fährt und der schlaf in der kabine nicht mehr möglich ist – das ist der richtige zeitpunkt. Vom radar keine warnungen, dennoch saß ich um sechs uhr in der plicht.

Um neun uhr habe ich dann mal einen kaffee aufgesetzt. Der wind nahm zu und ich habe zuvor noch ein stück weiter gerefft. Es lief super und der kaffee wartete auf mich. Da es auch noch zu regnen begann (danke an den regen), habe ich ihn unten auf dem fussboden in der ecke getrunken. Die wellen wurden immer höher, die see wurde rauer.
Dann wurde es kurz dunkel, eine welle kam von quer über das schiff und es war wieder hell. Nur dieses kurze knarzen war anders laut. Kurzer blick ins freie: Draußen sah es fast normal aus nur der baum hing ein wenig schief. Ging ja auch nicht anders, denn der gesamte mast hing quer ab im wasser, dito das vorsegel.
Das schiff war gerade enthauptet worden. Ich bin dann raus an deck, wieder die rettungsweste angezogen, sicherungsleine fest, um den schaden zu begutachten. Da war fast nichts mehr zu machen. Vorsichtige tests mit dem vorsegel wurden mit einem gequetschten daumen vergütet. Den baum wollte ich zuerst vom mast lösen, bekam den bolzen aber nicht heraus, ein einkilo-hammer reichte nicht. Also alles pragmatisch angehen, der ganze mast mit anhang musste vom schiff getrennt werden, da er gegen das schiff schlug.

 

Was soll ich sagen? Wie ich es empfunden habe, weiss ich nicht. Meine vorbereitung auf solche ereignisse passierten monate vorher. Was passiert wenn – gedankenspiele zu vielen themen und wie kann man das problem lösen. Ich spielte sie mental mit mehreren szenarien mehrfach durch. Somit lief diese reale aktion wie immer ab, nur dass ich sie nie real durchlebt hatte.
Der schock kam erst zwei stunden später, aber das ist wohl normal.

Zuerst habe ich alle bolzen von den wantenspannern entfernt, die fallen durchgeschnitten und die kabel im mast getrennt. Das radargerät war ja auch schon auf tauchstation. Das vorsegel war unten noch angeschlagen, mit dem messer habe ich es befreit. Nur das vorstag war noch zu trennen, das profil hatte sich schon komplett zerlegt. Das achterstag hatte sich im fallen schon selbst befreit. Es war aus dem terminal gezogen worden.

Wozu braucht man in der notausrüstung einen wantenschneider, der nicht den mast trennen kann? Aber bei mir war ja strom ausreichend vorhanden, dem einsatz der flex stand damit nichts mehr im wege. An einen stromschlag durch die arbeit im wasser habe ich nicht gedacht, wäre aber noch eins drauf gewesen. Ich habe zwei trennscheiben verbraucht, alles vorsichtig, mit brille und handschuhen und gesichert, denn die wellen wurden nicht weniger. Zuerst das vorstag, dann die querstreben und dann die rohre. Das war alles unter spannung und sehr heikel und am ende hing es an einem zwei millimeter stückchen, noch ein kritischer augenblick, ein letzter schnitt und das ganze rigg verschwand in der tiefe.
Den versuch der materialrettung habe ich gar nicht erst angefangen. Der baum mit segel wiegt so um hundert kilogramm, das geht allein schon mal nicht. Zudem ist das ganze keine laborsituation, starker wind und wellen machten die geschichte zusätzlich richtig spannend.
Das ganze hat zwei stunden gedauert, mulmig wurde mir erst zwei stunden später. Der nächste hafen war hundertfünfzig seemeilen weit entfernt, bei den wellen war motoren fast unmöglich und ständig schlugen die brecher an die bordwand. Das schiff schaukelte von rumpffenster zu rumpffenster.

Dann wurde es abend. Ich war die ganze zeit mit motor gefahren. Das wäre in ordnung, nur der kompasskreisel vom autopiloten wollte nicht mehr. Er war da, konnte aber keine position bestimmen und somit lief der autopilot auch nicht. Und das bei diesen riesigen wellen – handsteuerung ist anstrengend! Draussen wurde es dunkel und ich hoffte, dass man mich sieht, auch ohne radarreflektor, ohne mast. Zum nächsten hafen waren es noch hundertzehn seemeilen.

Die nacht auf So war schlimm, am ende habe ich eine matratze zum mast hin auf den boden gelegt, um mich dann mit dem kopf zwischen mast und kabine einzuklemmen. Die beine habe ich zum schrank hin verkeilt und dann vereinzelt ein paar minuten geschlafen. Das ging immer dann, wenn es zwischen den wellenperioden ein stück ruhig war und ich ins koma fiel.
Am morgen wieder den tagestank aufgefüllt, ich musste jetzt schon auf die kanister zurückgreifen. Den frischen kaffee habe ich danach an deck getrunken, während der motor schon mal lief und in richtung küste schipperte.

Abends um zehn wurde Mr Perkins in die nachtruhe entlassen. Jetzt waren es noch fünfzig meilen bis in den hafen. Eigentlich bei ruhiger see eine sache von zehn stunden fahrt. Um ehrlich zu sein, ich war übergar, eine segelreise hatte ich mir anders vorgestellt. In der plicht wartete schon der nächste reservekanister. Nur ein gedanke: Mal sehen wie viel schlaf ich heute nacht erbeuten kann.

Es war schon mal gut, den zweiten reservekanister am abend in der plicht festzuschnallen. So musste ich nicht an die backskiste heran. Das wetter würde ich als recht unfreundlich bezeichnen, richtig hohe wellen, gischt, leichter regen bei windstärke acht.
Den ersten versuch, mit motor zum zielhafen zu fahren, habe ich nach zwei stunden abgebrochen, der kurs war nicht zu halten, ständig ist das schiff aus dem ruder gelaufen. Ich habe dann noch einmal zwei stunden geschlafen.
Der neue zielhafen hieß dann Gijon und lag auf einem machbaren kurs, aber östlicher und noch siebzig seemeilen entfernt.

Für die weitere fahrt musste ich noch mal an die backskiste am heck heran, um den letzten reservekanister zu holen. In voller montur und alles sehr vorsichtig, doppelt mit der sicherungsleine abgesichert. Ich bin dort trotzdem hingefallen und konnte noch so gerade die zwanzig liter diesel retten. Alle festmacherleinen waren noch an bord, in der schraube konnte ich keine gebrauchen. Beim abstieg in die kabine kam dann doch noch so ein brecher und ich bin die zwei meter herunter gestürzt, so grob war noch alles dran. Mein linker grosser zeh hat dabei etwas abbekommen – wie, weiss ich nicht.
Dann bis zum dunkel werden um sieben uhr unter diesen widrigen umständen weiter gefahren. Vielleicht würde ich dann morgen den zielhafen erreichen, am tag vier nach der kopflosigkeit.

Nächster tag: Kurz bevor das grosse licht ausging hatte ich noch dreißig seemeilen bis zum hafen, wenn nichts dazwischen kommen würde. Den ganzen tag hatte ich gesteuert, anstrengend und sehr nervig. Das ganze vom innensteuerstand, den ich oft belächelt und als unnütz abgestempelt hatte. Heute hat er meinen tag gerettet. Was für ein Mo, was für ein abenteuer.

Das vertreiben unter kontrollierten umständen hat auch was für sich. Die nacht war nicht besser als die letzten, dennoch waren es an nächsten morgen nur noch zwanzig meilen bis in den hafen. Die see war wieder eine andere. Wenn ich eine grosse welle herunter fahre und vor dem schiff noch vier weitere schiffe platz hätten, werde nachdenklich. Keine angst, nur die dimensionen sind neu verteilt. Der kurs zum hafen kam gut, der wind und die wellen waren diesmal freundlich zu mir.

Um zwölf uhr mittags legte ich an, die frau von der marina half mir in die box. So fertig war ich lange nicht mehr oder noch nie. Dennoch aufgedreht, kein schlaf vor augen. Eher anmelden, duschen, und dann hoffentlich schlafen.

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7 Antworten auf Das Ende in der Biskaya

  1. Michael sagt:

    Hallo Wolfgang, ich habe dein projekt lange im stillen beobachtet, nach dem du mir vor ca. 7 Jahren die “fenice” in Hamburg gezeigt hattest. Klasse das du das alles durchgezogen hast!! ich hoffe, du findest trotz der schweren schläge in den letzten tagen ein weg weiter zu machen!!! hast du schon eine idee, wie es gehen könnte? vielleicht gibts ja wege zu unterstützen … ich habe mich statt Eigenbau auf die Restauration einer alten GFK Contest gestürzt – obwohl ich gerade am wochenende in Brugstaaken wieder mal die VIRUS gesehen habe und nach wie vor meine, tolles schiff für große projekte.
    VG Michael

  2. Jörg sagt:

    Bau Dir einen neuen Mast! Bitte nicht aufgeben…!

  3. Erposs sagt:

    Hallo Wolfgang,
    ich weiß gar nicht was ich schreiben soll, gut daß Du es heil in den Hafen geschafft hast.
    Hast Du schon einen Plan, wie es weiter gehen soll?

    Gruß, Jörg!

  4. Peter sagt:

    Tut mir echt leid für dich. Hast du schon eine Vorstellung, was die Ursache war?
    Peter

  5. Rainer sagt:

    Hi Wolfgang,
    das ist ja mal ne schöne Scheisse…..
    bin gespannt wie es weiter geht, lass Dich bitte nicht unterkriegen.

    LG
    Rainer

  6. Hans sagt:

    Au weia Wolfgang, da kam es knüppeldick und hat dich voll erwischt. So eine Feuertaufe wünsche ich niemandem, dir erst recht nicht. Gut, dass du inzwischen in einem sicheren Hafen “gelandet” bist und dich und das Boot retten konntest. Was für ein Abenteuer!

    Mit herzlichem Gruß,
    Hans

  7. Andy sagt:

    Hey du Kopfloser, das klingt nicht so gut. Tut mir echt leid dass es so gekommen ist, aber das ist allem Anschein die Fortsetzung der Havarien mit dem Mast. Wünsche dir guten Mut und bessere Tage voraus.
    LG
    Andy

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