Das ankommen war so einfach, aber ich war zu spät dran, es war dunkel und so habe ich mein eisen vor der marina in den fluss geworfen. Am nächsten morgen kam ein mitarbeiter der marina mit dem boot hinaus und fragte, ob ich einen platz brauche. So habe ich mich zuerst außen an den stegkopf begeben und zwei stunden später haben die mitarbeiter mein schiff per hand umgelegt und ordentlich festgebunden. Als letztes schiff am anleger habe ich freien blick auf den fluss und kann das auch in deutschen eingruppierungen als großstadt geltende häusermeer João Pessoa sehen.
Gestern habe ich beschlossen, nur maximal zwei wochen hier zu bleiben und die reparaturliste abzuarbeiten. Der segelmacher war schon da und hat die sprayhood mitgenommen und heute wird er das großsegel mitnehmen. Das gute ist: er ist deutscher, also keine kommunikationslücken im auftrag.
Auch werde ich nicht einklarieren, das ist mir zu aufwendig und zeitraubend. Die strafe beträgt umgerechnet zwei euro pro tag und für maximal neunzig tage. Zu drei verschiedenen behörden in der stadt zu laufen, vorher im internet ein formular auszufüllen, dann noch einen vermögensnachweis zu erbringen und danach das ganze noch einmal zum ausklarieren zu wiederholen – all das kostet, wenn es gut geht, zwei tage. Zwei tage zuviel.
Meine reiseroute hat hier eine gewisse verwunderung und staunen ausgelöst. Es passiert nicht oft, dass jemand aus Guayana angesegelt kommt. Laut dem segelmacher waren es drei wagemutige in den letzten fünfzehn jahren, ich bin der vierte. Auch würden andere skipper hier ankommen, das boot noch festmachen und dann vor erschöpfung umfallen. Solch eine segelei würde mir ja stinken, da läuft wohl etwas schief.
Am Do war ich dann mal etwas einkaufen gegangen, den lokalen supermarkt habe ich nicht gefunden und kam dann nach einer halben stunde fußmarsch im hochhausviertel auf der anderen seite der landzunge an. Und schon wieder keinen plan gehabt, was ich kaufen soll, also gemüse nach lust und qualität und verschiedene sorten bier zum testen. Bezahlen konnte ich mit karte, ich habe bis jetzt noch keine reals. Der einzige geldautomat, den ich gefunden habe, wollte umgerechnet sieben euro gebühren haben, geht’s noch?
Und dann gibt es noch den ersten eindruck von einen neuen land. Ein bisschen wie die Kapverden, die straßen und die häuser der armen bevölkerung sind heruntergekommen. Die autos sind alt, entweder volkswagen, datchia heißt hier auch renault, oder ein asiatisches fabrikat. Aber am häufigsten ist das vw-logo an den fahrzeugen und auch den lkws zu sehen.
Es ist dreckig, weggeworfener müll in form von plastikflaschen und getränkedosen. Ich habe noch keinen öffentlichen mülleimer gefunden, bin wohl die falschen wege gelaufen. Zudem verbrennen die leute den müll und der geruch von verbranntem plastik wabert durch die luft bis zum schiff, nicht gut, nicht lecker.
Dann ist dieser ort wohl auch zum ballermann der gegend geworden, von morgens bis spät abends wird man mit musik beschallt. Dreihundert meter weiter legen die sauf- und tanz-katamarane ab und schippern den fluss entlang, mit lauter musik und animateuren. Der mann mit dem saxofon auf dem kanu und der ewige bolero von Ravel, ebenfalls täglich dargeboten, gehören hier noch in eine alte zeit. Gehört habe ich ihn schon, gesehen aber noch nicht. Heute ist Freitag, mal sehen was hier am wochenende abgeht.
Die marina gefällt mir bis jetzt, da ich noch keine preise bekommen habe. Alles funktioniert, wlan ist vorhanden und das personal ist freundlich und hilfsbereit. Sie werden mich auch mit diesel versorgen, mit sauberem. Hier gibt es auch eine billige variante, versetzt mit ethanol und aufbereitetem altöl. Das würde ich ja auch fahren, der motor verträgt es, aber die einspritzpumpe vielleicht nicht. Eine weitere baustelle dieser art kann ich gerade nicht gebrauchen, denn sie geht dann bestimmt in der einöde weit weg der nächsten zivilisation kaputt.
Am abend ist es erstaunlicherweise recht ruhig, nur drei verschiedene gleichzeitige beschallungen, davon einmal livemusik. Auch den menschen in Brasilien geht es nicht mehr so gut wie noch vor ein paar jahren. Den putsch des präsidenten nehmen die leute einfach hin. So wird es einigen jetzt wohl besser gehen und die masse wird dafür bezahlen.
Mein arbeitspensum war heute, fünfmal auf den mast zu klettern. Die fallenabweiser, die ich zwischen den maststufen gespannt hatte, waren nicht ganz erfolgreich in ihrer aufgabe. Also alles wieder abgetüdelt und neu verspannt zwischen der oberwant und den stufen. Einmal das großfall in den stufen haben und schon ist ärger angesagt. Dann noch am besten bei sieben windstärken bis über der ersten saling da hochklettern, danke muss nicht mehr sein.
Auch habe ich das großfall gepimpt. Wie schön, dass ich mich in deutschland noch mit seilen eingedeckt hatte. Eine ganze fünfzigmeter rolle ging dafür drauf. Der segelkopf bekommt eine umlenkrolle, und ich hoffe, das ganze groß mit der hand hochziehen zu können, mal sehen.
Danach habe ich noch die leinen im baum optimiert und beim zweiten reff war ein schäkel gerissen. Erstaunlich, was für kräfte im gerefften zustand auftreten können.
Es ist noch immer wochenende und die leute sind, anders als befürchtet, dann doch gemäßigt, abgesehen vom lärmterrorismus. In der ruhigen zeit habe ich weitergearbeitet, in form von wäsche waschen. Mein kleiner waschsalon baut auch ab, die abpumppumpe will nicht mehr so recht. Mindestens zwölf mal habe ich das gute stück aus der maschine gepult, auseinander geschraubt, wieder zusammengesetzt, getestet und für gut befunden. Jedoch nach dem einbau und mit wasser in der maschine will das gute stück die aufgaben nicht erledigen, für die es gebaut wurde. Die lösung ist, dass ich das gerät zukünftig in der plicht aufstelle und das abwasser nur rauslaufen lasse. Ärgerlich, da das heiße wasser unten in der kombüse ist. Also muss das zeug im eimer nach oben.
Die nächste baustelle ist nicht so banal: cash. Ich bin aus europa raus und brauche zahlungsmittel, heutzutage über kreditkarte der gängige weg. Nur zu dumm, wenn ich den pin von der einen karte nicht dabei habe und die andere gerade gekündigt ist. Da klafft eine lücke und die will gefüllt werden. Ich sehe mich schon abgerissen mit einer pappschachtel in abgelegenen orten der welt um geld betteln, obwohl ich welches habe. Also erste erfahrungen sammeln für ein zukünftiges bargeldverbot.
Das wochenende war letztlich nicht so schlimm, wie erwartet. Nur warum müssen die jungs mit den motorbooten die nacht durchmachen und vor sonnenaufgang dann ihre musikanlage auf dem schiff aufreißen? Ansonsten viel verschiedene musik, alles gleichzeitig und noch mehr partyboote.
Ich habe mir am So eine plane für die plicht genäht. Die pfaff war am anschlag bei zweifach- oder dreifach-lagen. Immerhin ist es eine fünfhundertgramm lkw-plane gewesen, die schon während der bauphase das schiff abgedeckt hatte. Es ist nicht sehr schön geworden, aber so, wie ich es mir auf der letzten reise ausgedacht hatte.
Mein großsegel ist auch fertig genäht, in so ein teil fließt mit der zeit auch viel reparaturgeld hinein. Ich sollte vorsichtiger damit fahren. Das installieren ging diesmal in zwei etappen bei wenig wind. Und da die sonne hier sehr intensiv ist, musste auch der bag ums segel herum. Jetzt fehlen nur noch die gasflasche und der diesel, ein großeinkauf, dann kann es weiter gehen.
Seit einer woche bin ich nun hier und schon alles abgearbeitet, es könnte also losgehen. Gestern war ich mit dem fahrrad zum Carrefour unterwegs, ein kleines abenteuer am rande der sechspurigen bundesstraße bei viel wärme. So richtig warm uns herz ist mir in dieser region nicht geworden. Der supermarkt war auch enttäuschend, da ich die erwartung aus Guayana im kopf hatte, verwöhnter bengel. Nur die neuen autoreifen im laden haben mich umgehauen. Ich brauch nur leider keine. Die preise lagen bei sechs bis zwanzig euro das stück. Den rest bekomme ich auch hier im nächsten ort.
Als ich wieder auf dem schiff war, musste ich erstmal duschen, durchgeschwitzt und erschöpft.
Am abend habe ich meine zehn kanister, ex küchenessiggebinde, vor meinem schiff entdeckt. Also nicht so, wie gedacht, dass jemand mit dem tankwagen oder ähnlichem kommt. Der marina geht es wohl nicht mehr so gut, hatte ich doch den einen chef mit diesen kanistern schon gesehen. Na gut, alle aufs schiff gehieft und heute morgen in meinen tank gefüllt. Schlauch mit va-rohr in den kanister, mit folie das ganze zugehalten und mit der luftdruckpistole luft hinein, bis der saft raus läuft. Die gute seite an der aktion, es ging kaum etwas daneben und alles wurde durch meinen trichter gefiltert.
Und dabei dann noch einmal glück gehabt, mit dem letzten kanister habe ich die tanks geflutet und dabei den tagestankdeckel offen gehabt. Mache ich sonst nie, nur heute. Der tagestank war dann auch randvoll, über die entlüftungsschläuche wurde er verfüllt. Hätte auch mit dieselüberlauf und dauerndem gestank im schiff enden können.
Vor dem letzten kanister wollte ich vorsichtshalber auch ein blick in meine diesel-excel-liste werfen, wie viel denn genau in den tank hineinpasst. Hat aber nicht gefunzt, morgens noch den skypetermin mit der heimatfront vereinbart und nun will der rechner nicht mehr booten, weil eine bekloppte windowsdatei kaputt ist. Ja ich weiß, ubuntu, aber mein konzept geht auch. Nur es hat bis zum späten mittag gedauert, bis das backup auf dem rechner war, ich brauche diese aufgaben nicht wirklich.
Der Fr war wieder einmal zum einkaufen für das wochenende, danach noch ein paar bezüge für die sitzkissen in der plicht erstellt und am nachmittag socialising. Ich wurde von den beiden der ‚out of rosenheim’ zur brotzeit eingeladen. Gegenseitiger informationsaustausch bei kühlem bier und snacks. Sie stehen hier an land und haben eine sehr lange liste, meine ist dagegen ein kleiner spickzettel.
Deshalb auch ein nachtrag zu den reifen im supermarkt. Auf den angeboten steht dann ganz klein x10 oder andere größere faktoren. Verbraucherfreundlich ist das nicht, da müsste ich die brille ja ständig auf der nase tragen.
Am Sa ein ausflug in die große weite welt und das ganze mit dem zug. Auf dieser strecke wird bereits ein relativ neuer triebwagen eingesetzt, die alte diesellok mit den offenen fensterwagons läuft aber auch noch. Die auf gewinnmaximierung ausgerichteten geld-und-profit-lehren scheitern hier, man zahlt am bahnsteigeingang seine höchstens zwanzig cent und kann mit dem zug fahren. Meinen anteil an den betriebskosten inkl. klimaanlage habe ich bei den drei stationen wohl nicht gedeckt, dafür können die leute aber in die stadt fahren.
Die altstadt von João Pessoa habe ich mir erlaufen, wollte eigentlich nur mal schauen. Damit das ganze auch sinnbehaftet ist, wollte ich garneinfädler für nähnadeln kaufen und eine mütze mit nackenabdeckung, weil ich mir den auch schon verbrannt hatte.
Die gewerke sind lokal aufgeteilt, also keine mischung der geschäfte, gleichzeitig wettbewerb und kundenanzugmaximierung. Also für verbraucher recht freundlich, man muss nur wissen, wo gibt es was. Straßenzüge nur mit matratzen, danach welche mit bezugsstoffen, vereinzelt sattler und danach eine straße für kochtöpfe. Es folgen nach den musikinstrumenten die lautsprecherboxen, dann hundert meter frauen, die mit einer handtasche auf den bus warten. Dazwischen kleine imbisse, haufenweise handyhüllenläden, radkappenläden mit reifenverzierung. Klamotten in einem viertel, weihnachtsbaumschmuck und chinaschrott in einem anderen, aber leider keine gegend für nähmaschinen.
Den richtigen laden habe ich dann doch gefunden, ich habe eine fragephobie und irgendwie ist es so spannender. Im laden gab es größeren erklärungsbedarf, um nadel, faden und dafür einen einfädler zu bekommen. Dann habe ich auf dem tresen einen gesehen und wollte gleich mal fünf davon, meine augen werden schlechter. Der verkäufer klickte im computer, zog dann eine der vielen schubladen hinter sich heraus, gab mir fünf und einen zettel mit darauf geschriebenem preis von fünf real. Mit diesen musste ich dann zur frau an der zentralen kasse laufen und bezahlen. In diesen ganzen geschäften läuft es so, es sind viele dort beschäftigt für kleines geld. Im schuhgeschäft oder elektroladen sind locker zehn verkäufer und das bei vierhundert quradratmeter läden, kein riesiger walmart.
Danach habe ich mich in eine markthalle für unterwäsche, rucksäcke, shirts und mützen gestürzt. Bei dem ersten stand mit dem fragenden verkäuferblick habe ich versucht zu erklären, dass ich eine mütze mit nackenschutz suche. Kein problem, stange gegriffen und ein bündel von der decke gezogen. Dann noch die suche nach der passenden größe und voilà, preis ohne handeln akzeptiert, der kleine familienbetrieb auf zwei quardratmeter soll ja auch vom kaufpreis von fünfzehn real leben können, nur was bleibt da übrig.
Auf dem weg zurück zum bahnhof ist mir noch eine kirchliche sekte begegnet, die wasser in der hitze verschenkt hat, gern habe ich es angenommen. Wobei die menschen sich hier wie schweine benehmen, keine mülleimerkultur. Einen meter vor der mülltonnen wird der dreck in die gegend geworfen. Die straßenfeger haben so zwar auch einen job, aber es muss ja nicht noch gefördert werden.
Auf dem weg zum bahnhof gab es dann noch eine kuriosität, eine gasse der scherenschleifer, zehn betriebe auf hundert metern.
Die gebäude, die mich berührt haben, waren die im verfall begriffenen. Auch die hochhäuser sind meistens leer, die basis bröckelt und viele neubauten in der umgebung sind nur rohbauten. So richtig schön und bewahrt war ganz wenig.
Als ich am bahnhof angekommen war, zuvor noch durch die bad- und elektoabteilung der stadt hindurch, fuhr am Sa kein zug mehr. Besser ich hätte mal den fahrplan genauer gelesen.
Ein mitarbeiter der bahngesellschaft sagte mir die fünfstellige busnummer nach Jacare und ich habe, nach zwanzig minuten des wartens schon überdrüssig, den vierstelligen bus in meine richtung genommen. Die letzten zwei kilometer dann noch zu fuß.
Vielleicht noch ein kapitel zu busfahrern, hier müssen sie noch schalten, also locker zweitausend gangwechsel am tag oder mehr, das linke bein das einer winkerkrabbe, dabei noch im fahren kassieren, wenn kein ticketverkäufer im bus sitzt, und gleichzeitig auf den freilaufenden verkehr achten. Die straßen sind so schlecht, aber kein geschimpfe, kein gehupe und keine pöbeleien. Das ganze ohne klimaanlage und nur ein handtuch über dem fahrersitz. Ich vermisse Berlin nicht wirklich.
Von den neunzig millionen barrel öl pro tag, den die menschen global täglich verbrauchen, gehen zehn prozent in die plastikindustrie. Ich bin wohl noch nicht weit genug aus der behüteten gesellschaft heraus gekommen, aber hier sehe ich, welcher mist produziert wird, versucht wird, an den konsumenten zu verticken, und wo es dann landet. Keine schöne perspektive für diesen planeten.
Einen ausflug zur landspitze nach Cabedelo wollte ich zuerst mit dem fahrrad machen, doch die bahn ist einfach zu günstig. Außerdem ist es ein reiseabenteuer, da schaut man die mitreisenden an und versucht keinen körperkontakt zu bekommen. Die läuse anderer sollen bitte dort bleiben.
Cabedelo ist ein vergitterter ferienort mit fliesen von der hauswand über die hohe mauer und bis zur strasse hin. Nicht mein ding, wie in der schlachthalle. Ich bin nach gefühl zum strand gegangen und habe ein schönes plätzchen gesucht. Vereinzelt gibt es palmen, und wenn die kokusnüsse nicht nach sofortigem abfallen aussehen, kann man sich niederlassen.
Aber man sitzt in einer müllhalde, in den resten der fliesenarbeiten, plastikflaschen und den letzten zwanzig grillabenden. Schön wäre ein ostseestrand mit diesem türkisfarbenen wasser und den palmen.
Nach einer stunde bin ich dann wieder querdurch zum bahnhof zurück, vorbei am bahngelände. Die haben noch großes vor, die bahnschwellenberge sind aber schon von der natur erobert worden. Auch sehen die wagons ziemlich mitgenommen aus, kurz vor der verschrottung. Die endhaltestelle Cabedelo hatte mal eine weiche, so dass die lokomotive wieder zum anfang der zuges fahren konnte. Warum diese nun entfernt wurde, ist mir ein rätsel, so braucht man zwei lokomotiven für diesen zug auf der eingleisigen strecke. Auch war früher der hafen an die bahn angeschlossen, hier ändern sich die zeiten. In der bahnhofswartezone musste man bis zur schalteröffnung warten, ich am tisch mit einem großen kalten bier.
Ich muss jetzt nur noch den großen einkauf, diesmal mit liste, erledigen, das schiff seefest machen und dann morgen oder übermorgen ablegen. Der nächste halt ist Pirapolis in Uruguay, in der kürzesten entfernung von zweitausendzweihundert seemeilen. Hoffentlich diesmal ein wenig schneller, zum jahresende sollte ich dort sein.
Hallo Wolfgang,
lange nichts von dir gehört / gelesen,
Ich wünsche dir ein gutes und gesundes Weihnachtsfest auf See,
wenn auch klein an Bord aber dennoch.
Ich hoffe es geht dir gut und Rasmus ist dir ein wenig gnädig,
und das du bald wieder Land siehst….!
Die besten Grüße
Gela