Argentinien zum kennenlernen

und abgewöhnen.

Wenn jetzt jemand denkt, hier ginge es besser, glaube bitte nicht daran. Ich habe meine hoffnung schon fast begraben. Die marina ist gut, zum duschen bleibe ich an bord. Das wlan ist kaputt und keiner weiß, wann es repariert wird. Für’s internet muss ich jetzt immer auf die terrasse der bar, das funktioniert. Vor drei tagen bin ich angekommen, diese waren kostenfrei und heute ist der erste bezahltag. Nur diese zahlung heute war sehr teuer.

Am morgen habe ich die adressen von immigration, zoll und prefektura erhalten, von der Chulugi die bahnfahrkarte bekommen und mich auf den weg nach Tigre gemacht. Ich hatte diesmal vorgedacht und mein fahrrad mitgenommen. Die stadtpläne hatte ich mir vorher ausgedruckt, und so sollte nichts schief laufen, eigentlich.
Die erste frau von der adressliste brachte mich zum nächsten gebäude, zur immigration, und im kabuff nebenan war der zoll. Sie sprachen englisch und es ging recht zügig, wenn man beachtet, dass zehn dokumente erstellt wurden. Mit diesen musste ich dann zur prefektura, die aber in einem anderen stadtteil liegt, dem gleichen, wie der club.
Entweder mit der bahn eine station oder mit dem fahrrad, letzteres hat gestochen. Unterwegs noch was zum trinken und knabbern gekauft und die stadt im vorbeifahren beobachtet. Die prefektura liegt in einem heruntergekommenen hafenbereich und der kanal ist eine stinkende kloake. Aber auch hier waren sie freundlich, kannten den verwaltungsakt, haben sich über meine kopie der schiffspapiere mokiert und alle stempel gegeben. Das war doch entspannt und schnell, ich hatte schlimmeres erwarten.
Auf der anderen seite des kanals war ein schattiger baum und ich habe mich dort auf die bank gesetzt. Dann holte ich das knabberzeug raus, öffnete die kühle bierdose und schaute auf den kanal. Bis hier war alles super.

Dann kamen zwei typen, alter mitte zwanzig, von hinten, schubsten mich von der bank, der eine ergriff mein fahrrad, der andere meinen rucksack. Also aufstehen und hinterher laufen, ich wusste gar nicht, wie gut ich das noch kann, hat mich überrascht. Der mit dem rad war schon weiter weg, der mit dem rucksack machte keine distanz. Und hinter der ersten ecke stand er dann da. Er war schneller, ich bekam eine heftige faust an den linken kiefer und ging zu boden.
Erstaunlich, welche selbstgespräche wieder im kopf abgehen –raff dich hoch und lauf. Zuerst taumelnd, dann breitbeinig und trotzdem hinterher. Nach weiteren hundert metern, inzwischen in einer art farvela, stand er dann in einer engen gasse und ich war außer atem, aber beim rucksack und meine hand war dran. Dann brüllte er –muerto muerto– und ich in gutem deutsch dagegen, was er denn wolle. Schön, dass mein übersetzungszentrum gerade nicht die priorität hatte. Ich habe nur auf ein mögliches messer geachtet, dann schubserei und ich war wieder am boden, aber noch mit der hand am eigentum. Und habe von unten freundlich in seinen schritt getreten und da war der rucksack wieder meiner.
Dann kam ein älterer herr und nahm mich am arm und führte mich schnell wieder aus diesen labyrinth heraus, ein weiterer brachte mich dann zur polizeistation, die fünfzig meter von dem baum, dem ausgangspunkt des geschehens, entfernt liegt.
Der polizist in diesen container war sehr nett, gab mir den einzigen stuhl und wasser zum trinken, bot mir noch gebäck und einen softdrink an, ich lehnte ab. Dann kamen zuerst der streifenwagen aus der einen gegend und dann ein weiter von der anderen seite. Das ganze spielte sich im reviergrenzbereich ab, fast niemandsland. Die zweiten nahmen mich dann wieder mit nach Tigre und wollten mich nach dem protokoll eigentlich zum club fahren, das vorhaben ging dann aber verloren.

Ich habe nicht mit so etwas gerechnet, das war deren überraschungseffekt. Sie haben aber auch nicht mit meiner hartnäckigkeit gerechnet, also amateure. Ich hatte großes glück, in einem anderen slum wäre es vielleicht blutig bis tödlich ausgegangen. Was der rucksacktyp nicht wusste, es waren alle dokumente, mein reisepass, meine kreditkarten und eine menge geld in meinem beutel. Ohne diese wäre ich richtig am arsch gewesen und damit hat er nicht kalkuliert. Das fahrrad bleibt wohl vorerst in Argentinien und ich muss meine gewohnheiten ändern. Sport ist jetzt plötzlich wieder angesagt, am liebsten hätte ich ihn eingeholt und zusammengetreten. Daran werde ich arbeiten.
Jetzt kühle ich meine dicke backe vom fast k.o. mit einen weinkühler, das schlucken tut weh und versuche, das ganze zu verarbeiten. Die schrammen von den stürzen werden in eine woche verheilt sein. Ein teurer tag.

Tag eins danach: das kauen geht noch immer nicht so gut, es tut weh. Und ein paar mehr blessuren habe ich auch, hier und da schürfwunden und mein linker beckenknochen hat eine prellung, da bin ich wohl drauf gefallen. Was mich aber am meisten wundert, wie lange man rennen kann, wenn der körper das mitmacht. Es war auf jeden fall weiter, als wenn ich aus lust und laune laufe, nach drei monaten auf see ist die muskulatur reduziert. Somit habe ich heute in den oberschenkeln einen heftigen muskelkater. Auch gehe ich nicht mehr so unbeschwert durch die gegend, was schade ist.

Dafür habe ich heute eine adresse angelaufen und der segelmacher hat mich zum schiff gefahren, das segel eingeladen, und nächste woche könnte es fertig sein. Aber das teil wird um die abrissstelle kürzer, er flickt da nichts ran, will aber den bereich noch verstärken. Mal sehen.

Der techniker von furuno sollte am Do zur mittagszeit kommen, er kam vielleicht auch, aber nicht in den club hinein. Ich sollte ihn abholen, das habe ich aber erst zwei stunden später per mail erhalten, während ich auf dem schiff wartete. Morgen ein neuer versuch.
Vorher war ich noch zu einer bank gefahren mit einem taxi, um ordentlich geld zu kaufen. Ging alles nicht, ich sollte zum geldautomaten, der funktionierte nicht. Also zurück zum geldschalter mit vorbeidrängeln an der schlange und der englischsprechende banker mit mir zum geldautomaten. Es ging nichts, und dann hatte ich mich an diesen gerät zu oft eingeloggt, ende aus, karte zurück.
Auf meinem gewaltmarsch zurück zum schiff noch einmal kurz im supermarkt vorbei, meinen leergutbon eingelöst, ein paar mehr lebensmittel gekauft und danach zum dortigen geldautomaten. Es gab bedrucktes papier, nur zu wenig und für jede transaktion werden fünf euro berechnet, echt teuer. Aber ich muss jeden tag los, um das bare zu erbeuten. Wie schon erwähnt, wird es der banker in der rettungsinsel bezahlen.

Ich war am Fr überpünktlich am tor und der mechaniker auch. Zum glück war sein englisch gut brauchbar, somit gab es keine größeren komunikationsprobleme. Er hatte natürlich kein kabel dabei und auch nicht das wahrscheinliche ersatzteil. Und noch schlimmer, diese firma macht nur im professionellen radarbereich, keine sportschiffahrt.
Also ich wieder in den mast, nachdem er soweit alles gecheckt hatte, um die antenne wieder anzuschließen. Dann ein systemtest, hier und da etwas geprüft und festgestellt, dass das magnetron sehr schwach ist. Das war ja schon die vermutung aus Deutschland gewesen. Also muss ein neues her, und er wird versuchen, eines aufzutreiben oder einfliegen lassen. Hoffentlich günstig, für den besuch hat er noch kein geld verlangt.

Die geschichte mit dem kompressormotor ging auch weiter, es wird eine reparatur werden, da der mittelsmann keine garantie auf einen identischen motor geben kann. Bei einer neuwicklung zählen sie hoffentlich richtig. Und als vorschuss möchte er schon mal die hälfte haben.

Der status meiner wange ist besser, aber noch nicht abgeschwollen. Nach anfänglichen kaubescherden geht es dann aber. Meine mordgedanken nehmen verschiedene wege und, wenn ich die zeit zurück drehen könnte, würde ich mich nicht mehr in die gegend wagen.
Ich bin nun schon seit einer woche hier, einige kleinere baustellen sind behoben, die großen sind angegangen. Auch hier kann man auf die durchführung in der art von schnell pfeifen. Der motor braucht fünf tage, das segel einen, wird aber erst etwas am Di oder Mi, und das ersatzteil für das radar muss erst bestellt werden und dann noch ankommen. Zack zack kennen die hier nicht.
Das nächste problem in diesem club ist das wlan, seit einer woche keine statusänderung, keine reparatur oder dergleichen. Dazu kommt, dass das barnetz auch schlapp macht, alles merde.

Das ist meine aussicht auf diesen club: das kleine boot macht den transfer von jedem schiff zum steg oder untereinander. Ich weiß nicht, ob es langfristig günstiger wäre mit schwimmstegen, aber hier läuft das so. Du kommst nur mit dem kleinen boot zu deinem schiff, vielleicht auch ein sicherheitsaspekt.

20170211 cvb

 

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Diesmal ein verregneter So, dauerregen, mal mehr, mal weniger. Der richtige zeitpunkt, um mal im schiff aufzuräumen. So haben die surfmasten einen neuen platz im durchgang unter der decke bekommen, die zerlegbaren bäume sind in die kabine gewandert und die segel sind jetzt sehr handhabbar und dürfen im sofabereich bleiben.
Meine lkwplane bewährt sich auch hier, ich kann nicht in der plicht sitzen, aber der eingangsbereich und die mitte bleiben trocken. Der ausflug nach Buenos Aires zentrum muss erstmal verschoben werden.

Auch der Mo war verregnet und dazu südwind, dann ist hier hochwasser. Mal wieder eine datensicherung durchführen, seekarten anschauen und mal den lebensmittelbestand ermitteln. Wenn meine drei wichtigen punkte fertig sind, könnte es gleich weitergehen.

Gleich losgehen wird hier anders definiert, ich war beim segelmacher. Dieser hat mir gestern keine mail gesendet, so bin ich heute bei ihm auf der matte gewesen. Er findet den segelkopf unterdimensioniert, es fehlten einige lagen. Mein lösungsansatz mit streifen ist akzeptabel und er will am Fr nachmittag liefern. Hoffentlich.
Der elektromotorenfritze war heute nicht bei mir, wieder keine anzahlung und die radarfraktion hat sich nicht gemeldet, so also habe ich sie angemorst.
Dafür habe ich einen neuen patienten, einen Franzosen, der kein spanisch, kein englisch und keine weiteren sprachen kann. Warum auch, als systembestandteil der ex grande nation. Ich werde ihm morgen die wege in französisch Guayana erklären, mal sehen. Er ist hier schon seit über einen monat, keiner versteht ihn, denn es ist arschteuer. Wenn man eh kein geld hat, unerschwinglich. Warum er bleibt, weiß ich noch nicht.

Das leben in einer marina ist nach einer gewissen zeit auch langweilig. Man weiß, wie vieles funktioniert, kennt die wasserstände und die sanitären einrichtungen, die ich kaum benutze. Auf das schwimmbecken habe ich keine lust und die mücken nerven mich, besonders in der nacht.
Damit ich die zeit nutze, war heute wieder ein waschtag. Zuerst ins schlauchboot und sich an den leinen an land gehangelt, um den wasserschlauch anzuschließen. Kaum war ich dort, hatten mich auch schon zehn mücken attackiert, echt gefährlich dort.
Meine to-do-liste ist so klein, weil ich punkte, wie rost aus der plicht entfernen, einfach ignoriere. Ich könnte jederzeit los, aber es fehlen meine drei teile. So langsam bin ich im filmsketch von Otto.
Der krankheitsstatus ist mal wieder anders, der schorf fällt langsam von den wunden ab. Der bluterguss, der sich bis zum ansatz vom shirt und dekolleté ausgeweitet hatte, nimmt langsam ab. Dafür habe ich seit zwei tagen ein mundöffnungsproblem. Den mund kann ich nur einen zentimeter weit öffnen, tut nicht weh, aber weiter geht nicht. Flüssige nahrung ist gut, bananen passen nicht durch den schlitz, diese kann ich an den oberen schneidezähnen in scheiben abfräsen und essen. Äpfel kann ich knabbern, aber alles nicht so richtig lustig. Gebrochen scheint nichts zu sein, alles wackelt fest, nur die beule am unterkiefer will nicht so recht weichen. Ab jetzt denke ich natürlich, dass ich dem typ gern mit springerstiefeln mal die zahnreihe polieren möchte.

Laut dem netz habe ich eine kieferprellung, da sollte man zum arzt und es dauert zwanzig tage bis zum abklingen oder halt eben drei wochen. Das passende geschäftsmodel sieht folgendermaßen aus: Eine gruppe von personen mit starken aggressionen dürfen alle drei wochen fetten säcken eins in die fresse geben, als therapiemittel. Die fetten bekommen dafür kein magenband, das ungefähr zehn kilo euro kostet, sondern nur ein schmerzmittel für ein paar cent. Diese können aufgrund der kieferprellung nichts mehr essen und nehmen ab. Ein gewinn für alle, außer der magenoperationsmafia.

Heute ist Fr und die lieferanten lassen auf sich warten. Die anzahlung für den e-motor hat schon den besitzer gewechselt und der motor soll heute kommen. Auch will der segelmacher das tuch heute liefern. Die jungs von furuno haben es innerhalb von sieben tagen nicht geschafft, ein magnetron aufzutreiben. Da muss ich wohl wieder selbst hand anlegen. Die garantie für das gerät lief ende letzten novembers aus. Ende Dezember ist das radar verreckt, sieht nach gewollter obsolezenz aus, auf jeden fall keine garantie. Danke furuno.

Am späten nachmittag war der segelmacher unangekündigt am eingang vom club. Er kam nicht hinein und man hat mich davon zu spät informiert. Als ich am tor ankam, war er schon wieder weg. Das hatte ich doch schon einmal, irgendwie ticken hier die uhren anders. So bin ich am Sa morgen losgelaufen, da der segelfritze nicht auf meine mail geantwortet hatte und um elf uhr war er auch nicht zugegen. Die ungefähren drei kilometer für eine strecke habe ich in einer rekordzeit bewältigt, das segel begutachtet und es wird mir wieder gebracht, diesmal um ein uhr. Das sportprogram ist heute erstmal vollbracht bei dreißig grad und einer hohen luftfeuchtigkeit, ich bin ziemlich nass.

Das wetter am So war noch freundlicher, kein wind und sehr warm. Mein neues altes segel ist wieder an seinem bestimmungsort und ich bin überhitzt, das shirt ist durchnässt. So langsam kommt eine ungewollte routine im auftuchen dieses segels, seit september ist es schon das dritte mal. Diesmal hat mich der spass hundertachtzig euro für den segelmacher gekostet.

Meine moral ist am ende, meine hoffnung gestorben und der glaube an etwas, sas sich  service nennt ist tot. Die mischpoke von furuno in argentinen ist nicht in der lage, innerhalb von zehn tagen ein ersatzteil zu besorgen. Jetzt sagen sie, sie würden bis zu zwanzig tage brauchen, um es aus dem ausland und durch den zoll zu bringen. Da wäre ein hoher aufwand, ergo sie scheuen die arbeit und die geringe marge. Noch gab es keine rechnung und bis jetzt will ich auch nicht zahlen, wofür.
Furuno deutschland krauelt sich auch an den eiern, der servicetechniker, der mich zunächst unterstützt hatte, ist im urlaub. Die vertretungen melden sich nicht. Große nummer.
Also habe ich schon mal die niederlassung in usa angemailt, noch keine antwort. Es sieht so aus, als wenn ich ohne radar weiter segeln muss, nur weil so ein kleines teil nicht mehr druckt. Strom geht noch durch, aber kein gutes echo kommt zurück. Was kaputt sein kann, ist nur das goldene teil in der mitte, der preis ist dem entsprechend.

20170220 magnetron

 

Währendessen steigen die temperaturen hier stündlich und ich sitze im eigenen saft. Gerade geduscht und schon wieder ist das shirt durchnässt. Außerdem ist es genau zwei wochen her seit dem überfall. Der große blaue fleck bis zum hals hat sich zurückgebildet.
Es sollte zwar erst später kommen, aber ich werde wieder zum kleinkind: Essen mit lätzchen, alles, was in einen esslöffel hineinpasst, ist brauchbar. Ein ravioli geht, einer von zweien auf dem löffel wird an der kauleiste abgeschert und fällt runter. Dieser wird nachträglich hinein gestopft. Ich hoffe, dass diese art von essen in einer woche vorbei ist.

Ich hänge hier fest.

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5 Antworten auf Argentinien zum kennenlernen

  1. Jörg sagt:

    Hallo Wolfgang, das ist ja Abenteuer pur…könnte man auch drauf verzichten.
    Ich drück Dir die Daumen!

  2. Gela Anders sagt:

    Hallo Wolfgang,
    solch ein Foto, in jedem Land wo du vorbei kommst eines, das wär doch was…..!
    Gruß Gela

  3. Gela Anders sagt:

    Hallo Wolfgang,
    wie geht es dir, ich hoffe du hast den Überfall nun etwas verarbeitet, und bist wieder etwas besser drauf. Solch eine Erfahrung muss man nicht haben, deshalb laufen wir immer etwas “abgerissen” umher. Wie geht es weiter, lass von dir hören.
    Immer eine Handbreit wasser unterm Kiel…..!
    Gruß Gela

    • themroc sagt:

      hallo Gela,
      wenn du mich sehen könntest, in der abgeschnittenen jeansresthose und den alten tshirts mit löchern, dazu die ausgelatschten schuhe, dann würdest du mir noch einen euro in die hand drücken.
      Aber es geht mir langsam besser.
      Wolfgang

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